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Stillen bei Ösophagusatresie – Theorie und Praxis

Definition und Embryologie.


Eine Atresie ist ein angeborener oder erworbener Verschluss oder eine Nichtanlage von Hohlorganen, beziehungsweise natürlichen Körperöffnungen. Im Falle der Ösophagusatresie handelt es sich um eine Kontinuitätsunterbrechung zwischen dem oberen und dem unteren Teil des Ösophagus, welche bereits in der 4. bis 6. Schwangerschaftswoche durch eine unvollständige Trennung des Respirationstraktes vom Gastrointestinaltrakt entsteht. Betroffen ist 1 von 3000–5000 Neugeborenen, wobei in 25% zusätzlich eine Chromosomenanomalie (v.a. Trisomie 21 oder Trisomie 18) vorliegt und 40–65% der Betroffenen an Begleitfehlbildungen von Herz, Gastrointestinaltrakt und/oder Harntrakt leiden. Die präpartale Detektionsrate mittels Ultraschall liegt bei 44%, ist also nicht sehr hoch. Häufig wird die Diagnose erst im III. Trimester der Schwangerschaft gestellt. Es gibt verschiedene Formen der Ösophagusatresie, die nach Vogt eingeteilt werden (siehe Abb. 1). In 90% der Fälle liegen Fistelbildungen vor, wobei dabei zumeist das obere Speiseröhrensegment in einem Blindsack endet und der untere Anteil des Ösophagus mit der Luftröhre verbunden ist (Vogt Typ IIIb).


Diagnose.


Die vorgeburtlich diagnostizierten Fälle werden durch Hinweiszeichen im Ultraschall entdeckt. Frühe sonographische Hinweise sind ein nicht gefüllter und somit scheinbar fehlender oder zu kleiner Magen. Evtl. lässt sich ein flüssigkeitsgefüllter Blindsack im Halsbereich oder im Mediastinum erkennen. Zu einem späteren Zeitpunkt der Schwangerschaft ergibt sich der Verdacht auf eine Ösophagusatresie auf Grund einer deutlich vermehrten Fruchtwassermenge, wobei dieses Symptom bei Fistelbildung weniger ausgeprägt ist. 40% der Feten sind wachtumsretardiert.

Hinweis für sonographierende Ärzt*innen: Eine Kombination aus Polyhydramnion und mehrmals fehlender Magendarstellung ist hoch suspekt auf das Vorliegen einer Ösophagusatresie (Arzt & Steiner, 2018)!

Präpartale Differentialdiagnosen sind Schluckstörungen durch angeborene neurologische Abnormalitäten, die das Schlucken verhindern, neuromuskuläre Erkrankungen oder Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, außerdem eine abnormale Lokalisation des Magens (z.B. bei Zwerchfellhernie im Thorax) bzw. sehr selten eine fehlende Magenanlage.

Ergibt sich sonographisch der Verdacht auf eine Ösophagusatresie, sind weiterführende diagnostische Maßnahmen empfehlenswert. Die Entscheidung, ob diese durchgeführt werden, liegt bei den Eltern. Sinnvoll sind u.a. eine invasive Diagnostik mittels Amniozentese (Fruchtwasserpunktion) zur Chromosomenanalyseund eine genetische Beratung der Eltern. Ein Vorteil der präpartalen Diagnose ist, dass die Familie mit einem Wissensvorsprung in die Geburt geht, die Entbindung an einem spezialisierten Zentrum geplant werden kann und bereits vorab eine ausführliche Beratung über die postpartalen Therapiemöglichkeiten, sowie pflegerischen Maßnahmen stattfinden kann.


Ilvy wurde in der SSW 32+1 mit einer langstreckigen, komplizierten Ösophagusatresie geboren. Sie wog 1.735 Gramm und war 43 cm groß. Die Gedanken ihrer Mutter dazu:

„Da fällt mir zunächst immer ein, dass ich mir das natürlich alles ganz, ganz anders vorgestellt habe. Von der natürlichsten Geburt der Welt bis zum Stillen. Gekommen ist es dann doch ganz anders.“


Auch bei Maxi, heute 19 Jahre alt, wurden Begleitfehlbildungen festgestellt, seine Mama erinnert sich:

„Maxi ist zu Hause in Ruhe auf die Welt gekommen, wir hatten eine ganz wunderbare Bondingphase und ich hatte meine Hebamme. Beim Versuch des ersten Stillens wurde Maxi blau. Danach erfolgte die Überstellung in die Klinik. Maxi hatte Typ IIIb, also die häufigste Form, und kleinere weitere Fehlbildungen: Ohrmuscheldysplasie, Maxilla- und Mandibula-Hyperplasie. Er verbrachte seine ersten 8 1/2 Monate auf der kinderchirurgischen Intensivstation.“

Die präpartale Elternberatung.


In der präpartalen Beratung sollte u.a. bereits über das Stillen und die Säuglingsernährung gesprochen werden. „Stillen ist praktisch und spart Zeit“ trifft auf Eltern mit Kindern mit Ösophagusatresie allerdings nicht unbedingt zu. Es muss gepumpt werden, Zubehör gereinigt, Muttermilch aufbewahrt und transportiert werden. Man braucht mehr Zeit, mehr Geduld, mehr Nerven und mehr Geld. Die Vorteile des Stillens bzw. der Muttermilchgabe sollen trotzdem vermittelt werden, gute Vorbereitung ist äußerst hilfreich.


Fridolins S. Mama erzählt:

„Im Vergleich zu den Erzählungen einer Mutter, die vor mehr als 10 Jahren ihr Kind in derselben Kinderchirurgie wie ich hatte, habe ich das Gefühl, dass die Muttermilchernährung mehr wertgeschätzt wird. Mein Kind hat von Ernährungsbeginn bis zum letzten Tag an der Klinik nur Muttermilch bekommen. An der Unterstützung beim Pumpstillen muss aber noch sehr gearbeitet werden. Ein Anfang wäre ein abschließbarer Raum, in dem man ungestört abpumpen kann und eine sehr gute Pumpe. Bei mir gab es leider nur einen nicht verschließbaren, für alle zugänglichen Aufenthaltsraum und eine sehr alte, schmerzhafte Pumpe ohne Saugkraftverstellung. Eine große Steigerung dazu wäre eine Stillberatung, die von der Klinik automatisch organisiert wird.“



Frau F. erzählt:

„Im Krankenhaus war die Beratung zum Stillen und Abpumpen eine ganz gewöhnliche, so wie das alle Mütter bekommen haben, glücklicherweise legen sie auf den Stationen die Mütter zusammen, deren Kinder einer medizinischen Behandlung bedürfen. Man muss jetzt nicht mit einer Mutter im Zimmer liegen, die glücklich ihr Kind bei sich hat. Eigentlich hat man nach dem Kaiserschnitt sofort gesagt bekommen, wann, wie und wie oft man abpumpen soll, die Informationsweitergabe lief schon, wie wichtig die Milch ist, dass, wenn das Kind nicht bei einem ist, man aktiv werden muss, damit die Milchbildung stattfindet. Bei diesen Informationen waren sie schon geschult.“


In allen Beratungssituationen ist es wichtig, dass fundiertes und aktualisiertes Wissen in wertfreier Art und Weise mit positiver Grundhaltung empathisch weitergegeben wird. „Gesagt, heißt nicht gehört und gehört, heißt nicht verstanden.


Dazu nochmals Maxis Mama:

„Zur Begleitung im Krankenhaus: Ich bekam nie auch nur ein Gespräch mit einer/m Psycholog/in angeboten. Der Austausch mit anderen Eltern war schwierig, weil wir als „Langzeiteltern“ kaum etwas gemein hatten mit denen, die ein bis zwei Nächte auf der Intensivstation waren. Von der Selbsthilfegruppe KEKS erfuhren wir erst viel später.“

Der Verein KEKS[1] eine Selbsthilfeorganisation in Österreich für Kinder und Erwachsene mit kranker Speiseröhre, leistet einen wertvollen Beitrag in der professionellen Begleitung von betroffenen Familien. Neben Informationsbroschüren gibt es eine Willkommensbox für Eltern mit Beratungsgutscheinen, spezieller Kleidung mit der Möglichkeit zur Ausleitung von Monitorkabeln oder Drainageschläuchen, einem Pucksack und einem gehäkelten Octopus (Tentakeln dienen als „Nabelschnurersatz“, wo Babys sich festhalten können, um nicht an Sonden oder Drainagen zu ziehen) etc.


Maxis Mama arbeitet aktiv im Verein KEKS mit:

„Maxi geht es heute sehr gut.  Maxi ist ein besonderer Fall mit besonders kompliziertem Verlauf. Er ist nicht unbedingt repräsentativ für die KEKS-Community, max. ein Drittel der betroffenen Kinder hat komplizierte Verläufe. ...wollte ich nicht unerwähnt lassen. Maxi hatte Typ IIIb, also die häufigste Form, und kleinere weitere Fehlbildungen: Ohrmuscheldysplasie, Maxilla- und Mandibula-Hyperplasie. Bei der ersten Operation, bei der die beiden Speiseröhrenteile hätten verbunden werden sollen, gab es Komplikationen und die Trachea (Luftröhre) wurde mitbeschädigt. Daraufhin folgten viele weitere Operationen, doch eine Verbindung der beiden Speiseröhrenanteile war nicht mehr möglich. Der obere Speiseröhrenteil wurde durch den Hals „ausgeleitet“ (Ösophagostomie), und eine Verbindung mithilfe eines Stück Dickdarms wurde erst gemacht, als Maxi rund 1 ½ Jahre alt war. Die beschädigte Trachea bereitete massive Probleme, Beatmung war kaum möglich und ein Tracheostoma (Luftröhrenschnitt) wurde angelegt, als Maxi drei Monate alt war. Maxi wurde lange parenteral ernährt, dann sondiert. Erst mit ca. 2 ½ Jahren konnte er nach einer 3-wöchigen Sondenentwöhnung (Grazer Schule: www.notube.com) selbst essen. In den ersten Jahren machten wir einige Therapien, viel Osteopathie, viel Logopädie, er bekam anfangs im Krankenhaus Ergotherapie, aber nicht sehr lange. Er entwickelte sich gut und wir förderten, dass er gleich aufwuchs wie seine Geschwister.“

Die postpartale Phase.


Mehr als 90% der vorgeburtlich noch nicht diagnostizierten Kinder werden innerhalb des ersten Lebenstages entdeckt.


Typische Symptome sind:

§ Husten und Würgen – insbesondere beim ersten Fütterungsversuch

§ Hustenattacken durch Überlaufen von Speichel und Sekret aus dem Blindsack

§ schaumiger Speichel vor Mund und Nase

§ asphyktische Anfälle/Zyanoseanfälle

§ Aspirationspneumonie


Differentialdiagnosen postnatal sind:

§ Neugeborene nach Kaiserschnittentbindung

§ Fruchtwasseraspiration

§ gestörter Schluckreflex durch zerebrale Schädigung (angeboren oder geburtstraumatisch)

§ Choanalstenose/-atresie

§ Ösophagusdivertikel, -stenose

§ Achalasie


Therapeutische Sofortmaßnahmen sind das Absaugen/Sondieren des oberen Ösophagusstumpfes und das kontinuierliche Absaugen des Speichels, das Hochlagern des Oberkörpers sowie ggf. eine Intubation. Orale Ernährung ist kontraindiziert!

Die endgültige Diagnostik erfolgt mittels Sondierung des Ösophagus. Ist ein federnder Widerstand spürbar, wird ein Thoraxröntgen bei liegender Sonde durchgeführt. Mit einem Abdomenröntgen wird zusätzlich untersucht, ob Luft ins Abdomen gelangt und somit eine Fistel vorliegt. Außerdem muss nach etwaigen Begleitfehlbildungen gesucht werden.

Die Therapie beginnt innerhalb der ersten zwei Lebenstage mit der operativen Sanierung. Im besten Fall minimalinvasiv mit einer End-zu-End-Anastomose der Speiseröhre inkl. Fistelverschluss ggf. über eine Thorakotomie. Vorübergehend kann ein künstlicher Magenausgang zur Ernährung mit Ausleitung am Hals nötig sein. Gegebenenfalls kommen auch Dehnungsmethoden und Ausnutzung von Wachstum und Entwicklung zum Einsatz, manchmal wird eine Ösophagusersatzplastik mittels Magenhochzug oder Darm-Interponat durchgeführt. Postoperativ wird das Kind für einige Tage intubiert, nach 2–3 Tagen beginnt über eine liegende Magensonde ein langsamer Nahrungsaufbau. Nach 10–12 Tagen erfolgt ein Kontrollröntgen mit Kontrastmittelgabe über eine Sonde und bei fehlenden Auffälligkeiten kann mit dem oralen Nahrungsaufbau begonnen werden. Die Prognose ist abhängig vom Reifezustand des Kindes, Begleitfehlbildungen und dem Vorhandensein einer Pneumonie.


„ ... mir wurde irgendwann klar, dass es hier nicht um einen Sprint geht, sondern ein Marathon auf dem Programm steht – der uns auch bis auf die Knochen fordern wird, so wir ihn immer begleiten wollten. Und das wollten wir natürlich mit all unserer Liebe – und das kostet richtig Energie.“ erinnert sich Ilvys Mama.


Das Still- & Pumpmanagement.


Bereits präpartal sollte die Mutter über die Physiologie der Milchbildung informiert werden und ist darauf vorbereitet, mit der frühen postpartalen Gewinnung von Muttermilch zu beginnen – eine Stunde nach der Geburt mittels Handentleerung – und je nach Möglichkeit den Hautkontakt mit ihrem Baby zu fördern (s. Morton & Stanfort, 2017).

Abpumpen von Muttermilch ist in den meisten Fällen lange notwendig und es bedarf viel Hilfestellung, vor allem am Anfang. Stillberatung bedeutet bei Müttern von Kindern mit Ösophagusatresie eigentlich Pumpberatung:

  • präpartale Stillvisite, Informationsmaterial und praktische Anleitung zur Kolostrumgewinnung

  • Anleitung zu Brustmassage, sanfte Brustkompression und Handentleerung[2]

  • frühe und häufige Entleerung der Brüste mittels Bedside-Pumping oder zu Hause mit einem Foto des Babys, auf jeden Fall in möglichst entspannter, angenehmer Atmosphäre

  • bei Bedarf Hands-on-Pumping, Cluster- oder Powerpumping

  • Primäres Bonding im Kreissaal bzw. Sectio-Bonding, immer wieder zum Hautkontakt bzw. Mamillen-Mund/Nase-Kontakt animieren, vor allem während das Baby sondiert wird

  • Evaluierung der Ressourcen und Unterstützungsmöglichkeiten im Alltag durch das soziale Umfeld

  • Vernetzung und Zusammenarbeit mit neonatologischer Station bzw. Eltern-Kind-Station, Wochenbettstation und Geburtshilfe.

Ein großes Thema ist der Bereich „Sondieren & Saugen“, bei dem es langfristig darum geht, die Verknüpfung zwischen „Sondiert werden – der Magen wird voll – ich werde satt“ und „Saugen – Bereitschaft zum Saugen – Möglichkeit zum Saugen“ herzustellen, um in der Folge die Sondenentwöhnung zu ermöglichen bzw. zu erleichtern.

Der Weg zur Brust bzw. vorerst einmal zum Trinken führt meist über Umwege. Wenn das Baby allein atmen und die Temperatur halten kann (stabile Vitalparameter hat), die Hand-zu-Mund-Aktivität gegeben ist, es den Suchreflex und ein Saugbedürfnis zeigt, Schlucken kann und die Bolus-Fütterung per Sonde toleriert, ist es bereit zum Trinken/Stillen.


„Meine Tochter heißt Antonia Franziska. Sie hatte eine Magensonde, durch die ich 2 Jahre lang MM sondiert habe. Es war mir auch wichtig, dass sie auch mit „Mund dabei“ war, wenn sie sondiert wurde. Ich finde, dass es gerade für Kinder mit Beeinträchtigungen besonders wichtig ist, Muttermilch zu bekommen. Stillen ist daher auch unter besonderen Bedingungen möglich. Ich bin so stolz darauf, dass ich das geschafft habe!“



Bei Familie F. verlief es so:

„...die ersten Stillsituationen waren ja noch sogar vor der OP, im Beisein der Logopädin, Psychologin und Ärztin. Im Krankenzimmer haben wir meinen Sohn an die Brust gelegt und es war wirklich schön, weil er von sich aus die Brust gesucht hat, mit Erkunden, mit Brust in den Mund nehmen und Saugen, trotz Replog-Sonde im Mund. Natürlich wurden die Tropfen Milch sofort abgesaugt, damit sie ihn nicht gefährden. Aber allein diese zwei Stillsituationen waren unglaublich wertvoll und schön für uns. Nach der OP gab es eine Zeit, in der man mir auf der Station nahegelegt hat, nicht zu stillen und es erstmals mit der Flasche zu schaffen, um einen Überblick über die getrunkene Milchmenge zu haben. Vor der Operation, als Fridolin noch seine Magensonde hatte und ich ihm seine Nahrung per Bolusgabe geben konnte, habe ich natürlich schöne Situationen mit oraler Stimulation mit Tee- oder Muttermilchstäbchen geschaffen, um die Verbindung von gefülltem Magen und oralem Geschmackserlebnis zu vermitteln.“


Je nach Klinik kommen (u.a. in Österreich und Deutschland) verschiedene Konzepte wie z.B. ein Feeding-Plan mit einer Stillbeobachtung (wie ist das Kind angelegt, wie häufig schluckt das Baby, wie ist die Koordination von Atmen-Saugen-Schlucken, setzt der Milchspendereflex ein, fühlt sich die Brust danach weicher an usw.) oder ein Vorgehen mit einer Tagestrinkmenge und Stillen ad libitum mit Aufsondieren (der geschätzten Restmenge, je nach Dauer und Effektivität der Stillmahlzeit), zur Anwendung. Auf den meisten Stationen wird von Trinkwiegungen abgesehen, da es durch Schwankungen und bei fehlerhaften Gewichtsmessungen sehr zur Verunsicherung der Eltern kommen kann. Bei den unterschiedlichen Konzepten geht es weniger um das Erreichen von vorgegebenen Trinkmengen an der Brust (der überwiegende Teil wird über die Magensonde verabreicht), sondern vielmehr um ein langsames Anbahnen an das Stillen, welches das Bonding fördert, die Kompetenzen stärkt und eine Stillsituation, welche von Mutter und Kind als stressfrei empfunden wird.


Die Kinder erhalten, wenn sie keine Fistel haben, bis zur Operation Nahrung (meist über eine Magensonde). Der Nahrungsbeginn danach ist in der Regel wenige Tage nach dem operativen Eingriff, oft erst mit einer Glucoselösung, dann mit Muttermilch, dabei liegt noch eine Drainage, um zu sehen, ob es einen Chylothorax (Ansammlung von Lymphflüssigkeit im Brustkorb) gibt. Meist erfolgt mit 14 Tagen dann der Breischluck (Kontrolle des geschluckten Bolus im Röntgen), danach kann das Kind trinken bzw. stillen. Abweichungen gibt es bei Kindern nach Eingriffen unter Zug auf den Ösophagus.


Ist eine Flaschenfütterung nötig, sei es, weil die Milchbildung nicht ausreicht, abgestillt wurde oder die Mutter nicht stillen möchte, sollten die Eltern im achtsamen und bedürfnisorientierten Paced-Bottle-Feeding (stillfreundliche Flaschenfütterung) instruiert werden. Aufgrund der vielen medizinischen Interventionen im orofazialen Bereich kann es bei Kindern mit einer Ösophagusatresie leicht zu myofunktionellen Störungen kommen. Bei den meistverwendeten Kliniksaugern fließt aus dem häufig zu großen Loch die Milch viel zu leicht und daher in zu großen Mengen. Die Zunge versucht dabei, das Überangebot zu bremsen, ein physiologisches Saugen ist nicht möglich. Durch die oft lange Verweildauer auf der behandelnden Station, und somit Trennung von Mutter und Kind, ist ein Beruhigungssaugen an der Brust bei Stress, Unruhe oder Nähebedürfnis nicht jederzeit möglich oder in gewissen Situationen noch nicht gestattet (Fistel, Aspirationsgefahr). Ein Beruhigungssauger ist in diesen Situationen unumgänglich. Eltern sollten bereits während des Aufenthalts und kurz nochmals vor Entlassung aus der Klinik über die speziellen Anforderungen an Weithalsflasche (für zu Hause) und Schnuller (Rahmenbedingungen, Saugbedürfnis, mäßiger Schnuller-Einsatz zuhause) informiert werden (Biber, 2014; Furtenbach, 2013).


Die Kompetenzen des Kindes können u.a. durch die „orofaziale Regulationstherapie nach Castillo Morales“ gestärkt werden (Weiterbildung & Konzept der orofazialen Regulationstherapie s. Webseite der Castillo Morales ®-Vereinigung[3]). In der täglichen Anwendung lernen die Eltern die Signale ihres Kindes kennen und darauf angemessen zu reagieren. Ein Weg zur Brust kann, bei allen bekannten Vor- und Nachteilen, auch das Brusthütchen sein. Vor allem Kinder, die einen längeren Krankenhausaufenthalt haben und in der Zeit mit der Flasche an das Trinken herangeführt werden, können sich mit dem Hütchen leichter auf die Brust umgewöhnen.


Zum Thema Sondenernährung sagt die Mama von Friedolin:

„Da die Mutter der Bezugsintensivkrankenpflegerin meines Kindes bei ‚NoTube[4]‘ arbeitete, habe ich noch auf der Intensivstation die Gelegenheit genutzt, um bei ihr Tipps zur Sondenentwöhnung zu sammeln. Die zwei wichtigsten Tipps waren für mich erstens der Hinweis, dass es nach 3-monatiger reiner Sondenernährung wahrscheinlich länger dauern wird, bis mein Kind vollkommen ohne Sonde ernährt werden kann, und zweitens, dass es sehr wichtig ist, Hunger zu verspüren, um das Bedürfnis nach Essen zu haben. Mit kontinuierlich laufender Sonde und somit ohne Hungergefühl wird mein Baby diese Anstrengung mit großer Sicherheit nicht auf sich nehmen.“


In der Beratung geht es vor allem darum, die Wünsche der Eltern zu erfragen, ihre Ziele, welche sich auch ändern können, zu respektieren, und auf ihre Sorgen einzugehen. Es gilt die Eltern stark zu machen, sie sollen zu Expert*innen ihres Babys werden. Sie sollen wissen, dass Umwege und zeitweise Rückschritte eher die Regel als die Ausnahme sind.


Bei der Stillberatung liegt der Fokus nicht auf dem ausschließlichen Stillen. Es ist passender, von Muttermilch- oder Brustmilch-Ernährung zu sprechen. „Jeder Tropfen zählt“. Wichtig ist, dass die Mutter aufgrund von fundiertem Wissen und einer realistischen Einschätzung der Möglichkeiten ihre individuelle Entscheidung treffen kann. Diese kann dann auch so aussehen:


„Ehrlich gesagt wurde Ilvy durch die 8 überaus komplexen OPs sehr lange künstlich ernährt – der Schluckreflex war dann wohl schon fast abtrainiert. An Stillen war nicht zu denken. Ich selbst kann gerne auch darüber kurz erzählen, wie wahnsinnig entlastend es für mich war, schlussendlich dann doch, nach Erkennen und endlicher Einsicht ihrer Erkrankung, mit dem Gedanken an Stillen aufzuhören. Also habe ich unter Tränen irgendwann beschlossen nicht mehr abzupumpen, sondern zu schlafen, um Kraft zu haben für lange NICU-Tage. Sie hätte es eh nicht trinken können – siehe gefühlt 20 Infusions-Bypässe… Auch das ist Teil der Wahrheit.“

Auf die Frage, ob sie Stillberater*innen und medizinischen Fachpersonen einen Satz mitgeben möchten, antworteten die Familien wie folgt:

Wenn es den Wunsch der Mutter gibt, ihr Kind zu stillen, dann unterstützen Sie diesen, egal wie schwierig es ist oder wie unsicher es von der Trinkmenge ist, auch gegen Widerstände. Wichtig wäre es, dass die Hebammen und das medizinische Personal dahingehend unterstützen, dass nicht immer der vermeintlich einfache Weg der richtige Weg ist; vielleicht ist es im ersten Moment einfacher kontrollierbar eine Flasche zu haben, … auf lange Sicht ist das aber evtl. der schwierige und verkehrte Weg, und vielleicht auch an den Menschen vorbei, um die es eigentlich geht. Wichtig ist immer von der einzelnen Frau und der komplexen Situation, in der sie steckt, auszugehen.“

Ich würde mir wünschen, dass in den Kliniken der Wert der Muttermilchernährung erkannt wird. Nicht nur für das Kind, sondern auch für die Mutter. Es war das Einzige, wo ich das Gefühl hatte, ich kann etwas für mein Kind tun.“


Die Nachsorge.


Häufige Langzeitfolgen bei isolierter OÖsophagusatresie sind in fast 100% der Fälle eine Motilitätsstörung der Speiseröhre und Schwierigkeiten bei der Nahrungsumstellung auf feste Nahrung wegen einer möglichen Anastomosenenge. Mögliche Gedeihstörungen bedürfen häufiger Gewichts- und Wachstumskontrollen. Betroffene Kinder leiden auf Grund eines gastroösophagealen Reflux häufiger an bronchopulmonalen Infekten. Auch wiederholte Fistelbildungen kommen vor. Bei professioneller Nachsorge besteht jedoch eine sehr gute Lebensqualität.


Auf die Frage, was sie betroffenen Familien gerne mitgeben möchte, antwortete eine Familie mit Ösophagusatresie-Kind wie folgt:

„Auch wenn die erste Zeit vielleicht nicht ganz so verläuft, wie ihr euch das gewünscht und vorgestellt hättet, so habt ihr genug Zeit und Gelegenheiten, zu eurem Kind eine wunderbare Beziehung aufzubauen.“


Zu guter Letzt ...


„... Marcus hat Stunden damit verbracht in Tee getränkte Wattestäbchen Ilvy anzubieten. Dabei hat er ihr von allen Eissorten der Welt erzählt, während sie an Infusionen hing – daran erinnern wir uns im Sommer oft. Und dann musste der Speichel abgesaugt werden – auch dieses Geräusch vergesse ich nicht. Aber dann: die ersten Trinkversuche – die Bilder im Schluckakt – der Proof, dass alles DICHT ist – das werde ich niemals vergessen. Und auch ohne Muttermilch bekommen zu haben (ja das ist nicht optimal, aber …) ist Ilvy jetzt ehrlich gesagt fast nie krank, eine der Größten in ihrer Klasse und mittlerweile kerngesund. Und während ich dir gerade schreibe, genießt Ilvy gerade Avocado-Maki und gebratene Nudeln mit Meeresfrüchten am Freitag-Abend. Davon haben wir immer geträumt, aber es uns fast nicht getraut zu denken…. Also sie einmal so unbeschwert und gesund zu erleben… Das Leben ist schon manchmal sehr besonders.“


Danksagung:

An dieser Stelle möchten wir uns herzlich bei all denjenigen bedanken, die uns während der Anfertigung dieses Artikels unterstützt und motiviert haben.

Zuerst gebührt unser Dank allen Familien, welche Ihre Erfahrungen in Interviews geteilt und Ihre Fotos zur Verfügung gestellt haben. Unser Dank gilt ihrer Informationsbereitschaft und ihren interessanten Beiträgen und berührenden Antworten auf unsere Fragen.

Abschließend möchten wir uns beim Verein KEKS.at für die Unterstützung und Ideen bedanken.



Autorinnen:

Elisa Steiner, IBCLC

Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin für pädiatrische Intensivpflege, Eltern-Kursleiterin, Still- und Laktationsberaterin in freier Praxis in Wien und Berlin, BFHI-Gutachterin, VSLÖ-Präsidentin

Dr. Christiane Braumann, IBCLC

Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, OEGUM Stufe II (Österreichische Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin), Leitung Pränatalambulanz des Konventhospitals der Barmherzigen Brüder Linz, Ärztin für Allgemeinmedizin, Still- und Laktationsberaterin IBCLC, Ordination für Stillmedizin und -beratung


[1] KEKS Österreich: www.KEKS.at

[2] Siehe Steiner E: Manuelle Milchgewinnung und weitere manuelle Techniken in der Stillberatung. Laktation & Stillen 2021;1:4–10.

[3] https://www.castillomoralesvereinigung.de/ [4] www.notube.com


Quellen:

· Die Ösophagusatresie – Übersicht. https://www.kidsdoc.at/oesophagusatresie.html; besucht am 29.3.2023

· Ösophagusatresie. https://kinderchirurgie.charite.de/leistungen/oesophagusatresie/; besucht am 29.3.2023

· Ösophagusatresie. https://www.medizin-kompakt.de/oesophagusatresie; besucht am 29.3.2023

· Arzt W, Steiner H: Gastrointestinaltrakt und Bauchdecke. In: Gembruch U, Hecher K, Steiner H:Ultraschalldiagnostik in Geburtshilfe und Gynäkologie. Springer 2018, 2. Auflage, S. 283.

· Bartmann P: Fehlbildungen, die in der Neugeborenenperiode von Bedeutung sind. In: Sitzmann FC: Pädiatrie, Thieme 2007, 3. Auflage, S. 83–84.

· Biber, D: Frühkindliche Dysphagien und Trinkschwächen, Springer Verlag, 2014, 2. Aufl.

· Furtenbach M et al.: Myofunktionelle Therapie Kompakt I Prävention, Praesens Verlag 2013.

· KEKS Österreich: www.KEKS.at

· KEKS Deutschland: www.KEKS.org

· Morton J, Stanfort MC.: More Milk!!! Maximizing Milk Supply, Vortrag am Still- und Laktationskongress des Ausbildungszentrums für Laktation und Stillen, 2017.

· Sondenentwöhnung & entwicklungspsychologische Begleitung bei frühkindlichen Essverhaltensstörungen: www.notube.com


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